Der Bundesfinanzhof (BFH) hält den gesetzlichen Zinssatz für Aussetzungszinsen von 6 Prozent jährlich für verfassungswidrig. Er hat daher das Bundesverfassungsgericht angerufen.
Einspruch und Klage haben im Steuerrecht grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung. Steuerpflichtige müssen also die festgesetzte Steuer zunächst einmal zahlen. Bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids kann jedoch auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung angeordnet werden. Für Steuerpflichtige bedeutet das einerseits, dass sie die Steuer zunächst nicht zahlen müssen. Andererseits droht allerdings eine Belastung mit Zinsen, wenn das Rechtsmittel am Ende doch ohne Erfolg bleibt und die Steuer „nachträglich“ gezahlt werden muss. Diese Aussetzungszinsen betragen 0,5 Prozent pro Monat, also 6 Prozent pro Jahr.
Mit Beschluss vom 8.7.2021 (Az. 1 BvR 2237/14) hat das Bundesverfassungsgericht zwar die Vollverzinsung in dieser Höhe ab dem 1.1.2014 für verfassungswidrig erklärt, dies aber nicht auf die Aussetzungszinsen erstreckt.
Strukturelle Niedrigzinsphase
Im Streitfall hatte der Kläger seinen Einkommensteuerbescheid 2012 angefochten. Dessen Vollziehung setzte das Finanzamt aus. Die Klage war erfolglos. Aussetzungszinsen von 0,5 Prozent wurden für insgesamt 78 Monate festgesetzt, darunter im Zeitraum von 1.1.2019 bis 15.4.2021.
Nach Auffassung des BFH ist ein Zinssatz für die Zinsen bei Aussetzung der Vollziehung in Höhe von 0,5 Prozent pro Monat in diesem Zeitraum mit dem Gleichheitssatz im Grundgesetz unvereinbar. Zumindest während einer anhaltenden strukturellen Niedrigzinsphase sei der gesetzliche Zinssatz der Höhe nach evident nicht (mehr) erforderlich, um den durch eine spätere Zahlung typischerweise erzielbaren Liquiditätsvorteil abzuschöpfen.
Aussetzungszinsen versus Nachzahlungszinsen
Zudem würden Steuerpflichtige, die Aussetzungszinsen schulden, und Steuerpflichtige, die Nachzahlungszinsen entrichten müssen, ungleich behandelt. Denn Nachzahlungszinsen werden seit dem 1.1.2019 lediglich mit einem Zinssatz von 0,15 Prozent für jeden Monat, also 1,8 % jährlich, berechnet. Auch diese Zinssatzspreizung sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, so der BFH in seinem Beschluss vom 8.5.2024 (Az. VIII R 9/23).
Das vorinstanzliche FG Münster hatte die Höhe der Aussetzungszinsen übrigens noch für verfassungsgemäß erachtet, ebenso das FG Baden-Württemberg.
(BFH / STB Web)
Artikel vom: 22.08.2024